Dysgnathie-Behandlung: Die Kiefer-OP zur Therapie ausgeprägter Kieferfehlstellungen bei Erwachsenen

Dysgnathie-Behandlung bei ausgeprägter Kieferfehlstellung

Dysgnathie-Behandlung bei ausgeprägter Kieferfehlstellung

Bei Betroffenen mit ausgeprägten Kieferfehlstellungen ist der Leidensdruck oft hoch. Trotzdem ist es keine einfache Entscheidung, sich als Erwachsener noch einmal einer kieferorthopädischen Behandlung inklusive Kieferoperation zu unterziehen. Gut informiert zu sein hilft dabei, den richtigen Umgang mit der Dysgnathie zu finden. In diesem Beitrag wollen wir daher einige wichtige Fragen rund um das Thema Kieferorthopädie mit Dysgnathie-OP beantworten.

Inhaltsverzeichnis

 

Was ist eine Dysgnathie?

Unter dem Begriff „Dysgnathie“ versteht man eine ausgeprägte Abweichung der Kiefer von der Norm. Dabei können die Kieferform, die Größenverhältnisse der Kiefer zueinander oder die räumliche Beziehung der beiden Kiefer zueinander betroffen sein.

Das Video zeigt die typischen Phasen der Dysgnathiebehandlung am Beispiel eines Deckbisses mit fliehendem Kinn:

  1. Ausgangsbefund Klasse II/2 Dysgnathie
  2. Nach kieferorthopädischer Vorbehandlung mit großem Überbiss
  3. Nach Umstellungsosteotomie

 

Wie entsteht eine Dysgnathie überhaupt?

Die möglichen Ursachen für Kieferfehlstellungen sind vielfältig. In der Regel entstehen Dysgnathien während des Wachstums. Sie können genetisch bedingt sein oder durch äußere Einflüsse begünstigt werden.

Als äußere Einflüsse kommen beispielsweise folgende Ursachen eine Dysgnathie in Frage:

  • Trauma (Kieferbruch)
  • schädliche Angewohnheiten, z.B. exzessives Daumenlutschen oder Wangensaugen während des Wachstums
  • zahnstellungsbedingter Fehlbiss (z.B. Kreuzbiss oder Zwangsbiss)

 

Welche Dysganthieformen gibt es?

Je nach Raumrichtung der Kieferabweichung unterscheidet man zwischen verschiedenen Formen der Dysgnathie:

  1. Wenn ein Kiefer im Verhältnis zum Gegenkiefer zu weit zurückliegt, spricht man von einer „Retrognathie“ bzw. einem „Rückbiss“. Es liegt dann eine Abweichung in der sogenannten sagittalen Dimension (vorne – hinten Richtung) vor.
  2. Liegt ein Kiefer im Verhältnis zum Gegenkiefer zu weit vorne, spricht man von einer „Prognathie“ bzw. einem „Vorbiss“. Auch hier liegt eine Abweichung in sagittaler Richtung (vorne – hinten) vor.
  3. Ist der Oberkiefer schmaler als der Unterkiefer, dann besteht meist ein Kreuzbiss. Kreuzbisse kommen einseitig und beidseitig vor. Es handelt sich um eine Abweichung in transversaler Richtung (rechts – links).
  4. Weicht der Unterkiefer zu einer Seite ab, so spricht man von „Laterognathie“. Es liegt dann ebenfalls eine Abweichung in transversaler Richtung (rechts – links) vor. Häufig ist die Latherognathie mit einem einseitigen Kreuzbiss assoziiert.
  5. Besteht bei geschlossenem Mund eine Lücke zwischen oberen und unteren Zähnen bzw. haben nicht alle Zähne Kontakt, dann liegt in dem „kontaktlosen“ Bereich ein sogenannter „offener Biss“ vor. Es besteht eine Abweichung in vertikaler Richtung (oben – unten). Man unterscheidet hier zwischen frontal offenem Biss, seitlich oder lateral offenem Biss und zirkulär offenem Biss.

Alle genannten Dysgnathieformen können isoliert oder in Kombination miteinander vorkommen.
 

Welche Gründe gibt es eine Kieferfehlstellung oder Dysgnathie zu behanden?

Durch eine Dysgnathie kann es zu Beeinträchtigungen der Kaufunktion und einer funktionellen Überbelastung der Zähne und Kiefergelenke kommen. Dies kann zu vermehrter Abnutzung der betroffenen Strukturen sowie zu Schmerzen und Beschwerden führen.

Ein zu schmaler Oberkiefer kann eine eingeschränkte Nasenatmung zur Folge haben. Dieser Zusammenhang ist logisch, wenn man bedenkt, dass das Dach des Mundes gleichzeitig der Boden der Nase ist. Ein schmaler Oberkiefer hat demnach einen engen Luftweg in der Nase zur Folge.

Auch eine Fehlstellung des Unterkiefers kann die Atmung negativ beeinflussen. Eine sogenannte mandibuläre Retrognathie, also eine Rücklage des Unterkiefers, geht häufig mit einem verengten Rachenraum und folglich einer erschwerten Atmung und vermehrtem Schnarchen einher. In Extremfällen kommt es sogar im Schlaf zu Atemaussetzern. Man spricht dann von einer sogenannten Schlafapnoe.

Neben den genannten funktionellen Aspekten kann auch das ästhetische Erscheinungsbild und damit das Wohlbefinden der Betroffenen durch die Dysgnathie negativ beeinträchtigt sein. Das Hauptmerkmal einer Retrognathie des Unterkiefers ist beispielsweise ein fliehendes Kinn, während der Unterkiefer und das Kinn bei einer Prognathie des Unterkiefers sehr dominant sind.

Eine Laterognathie führt zu einer Gesichtsasymmetrie.
Eine Dysgnathie- OP bringt neben der Korrektur der Kieferfehlstellung oft eine Harmonisierung der Gesichtsproportionen mit sich.
 

Bei welchen Kieferfehlstellungen kommt eine Kieferoperation in Frage?

Ob eine Dysgnathie-Operation und damit eine kombiniert kieferorthopädisch-kieferchirurgische Behandlung sinnvoll oder gar notwendig ist, hängt vom Schweregrad der Kieferfehlstellung ab. In leicht bis moderat ausgeprägten Fällen ist es möglich, die Dysgnathie ohne OP und alleine durch kieferorthopädische Zahnbewegung zu behandeln.

Liegt eine sehr ausgeprägte Abweichung im Kiefer vor, die nicht auf Zahnebene kompensierbar ist, oder ist eine explizite und deutliche Veränderung des Profils oder der Gesichtsproportionen gewünscht, so wird kombiniert kieferorthopädisch-kieferchirurgisch vorgegangen. Hierbei arbeiten der Kieferorthopäde und der Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurg Hand in Hand.

  • Kiefer-OP bei schmalem Oberkiefer: Ein zu schmaler Oberkiefer kann im Bereich der Knochennähte chirurgisch geschwächt und anschließend mithilfe einer speziellen Zahnspange (GNE) kieferorthopädisch erweitert werden. Dieses Vorgehen nennt sich „chirurgisch unterstützte Gaumennahterweiterung“.
  • Kiefer-OP bei großem Überbiss: Bei einer Abweichung in vorne-hinten Richtung, werden die Zähne in der Regel kieferorthopädisch vorbehandelt (Begradigung, Schluss von Zahnlücken etc.), bevor die Kiefer im Rahmen der sogenannten „Umstellungsosteotomie“ operativ an die richtige Position verlagert werden.
  • Kiefer-OP bei vorstehendem Kinn: Analog zur operativen Behandlung bei großem Überbiss werden bei einem vorstehenden Kinn die Zähne begradigt, bevor die operative Verlagerung der Kiefer erfolgt.
Gebiss vor und nach der Dysgnathie-Operation

Oben ist das Gebiss vor und unten nach der Dysgnathie-Operation zu sehen

 

Wie arbeiten Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen und Kieferorthopäden bei der Dysgnathiebehandlung zusammen?

Vereinfacht gesagt, ist es die Aufgabe des Kieferchirurgen im Rahmen der Dysgnathiebehandlung die Kieferfehlstellung operativ zu korrigieren. Die Aufgabe des Kieferorthopäden besteht darin, die Zahnfehlstellungen zu beseitigen. Da die Zahn- und die Kieferstellung einander stark beeinflussen, ist im Rahmen einer Dysgnahtiebehandlung eine enge Abstimmung zwischen MKG-Chirurgie und Kieferorthopädie nötig.

Bei der kombiniert kieferorthopädisch-kieferchirurgischen Therapie, wird 2 Vorgehensweisen angewandt: das klassische Verfahren oder das „Surgery first“-Verfahren.
 

Wie läuft eine Dysgnathie-Behandlung klassischerweise ab?

Beim klassischen Vorgehen gliedert sich die Behandlung der Kieferfehlstellung in 3 Phasen: kieferorthopädische Vorbehandlung, chirurgische Umstellungsosteotomie und kieferorthopädische Feineinstellung.

  1. Kieferorthopädische Vorbehandlung:
    Zunächst wird kieferorthopädisch vorbehandelt. Alle Zahnfehlstellungen werden in dieser Phase korrigiert. Um eine adäquate operative Verlagerungsstrecke für die Umstellungsosteotomie zu generieren, wird der Fehlbiss zunächst in Richtung der bestehenden Abweichung ausgebaut.
    Dadurch entsteht in der Phase vor der Operation der Eindruck einer „Verschlimmerung“ der Dysgnathie. Dieser Prozess (Dekompensation) dauert meist etwa ein Jahr und erfolgt mit einer festen außen- oder innenliegenden Zahnspange.
    Am Ende der kieferorthopädischen Vorbehandlung sind der Ober- und Unterkieferzahnbogen ausgeformt. Es liegen dann zwei harmonische, zueinander passende Zahnbögen vor, die aufgrund der Kieferfehlstellung aber noch nicht richtig zusammenbeißen.
  2. Chirurgische Umstellungsosteotomie:
    Der nächste Schritt ist die sogenannte chirurgische Umstellungsosteotomie. Dabei erfolgt nach detaillierter Planung die korrekte Positionierung der Kiefer. Es handelt sich hierbei um einen operativen Eingriff, der von einem spezialisierten Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgen durchgeführt wird. Der zu operierende Kiefer wird im Rahmen der Osteotomie an einer definierten Stelle durchtrennt. Im Oberkiefer erfolgt dies häufig in der sogenannten Le Fort I Ebene. Im Unterkiefer wird häufig eine sogenannte sagittale Spaltung nach Obwegeser Dal Pont durchgeführt. Diese OP-Technik hat sich bewährt, da sie das Risiko einer Nervschädigung des Unterkiefernervs bei der Dysgnathie-OP deutlich verringert.
    Die vor der OP simulierte korrekte Kieferstellung wird mit Hilfe des sogenannten OP-Splints im Mund des Patienten operativ eingestellt. Die feste Zahnspange bleibt während der OP und bis zum Ende der Behandlung im Mund. Ein stationärer Aufenthalt von ca. 2-5 Tagen ist im Zusammenhang mit einer Dysgnathie-OP üblich.
  3. Kieferorthopädische Feineinstellung:
    Im Anschluss an die Umstellungsosteotomie erfolgt die kieferorthopädische Feineinstellung. Hier werden alle notwendigen Korrekturen vorgenommen, um ein harmonisches Endergebnis und einen stabilen Biss zu erzielen (z.B. Korrektur von Zahnachsen, Herstellen satter Zahnkontakte etc.). Dafür werden nochmals etwa zwei bis sechs Monate veranschlagt, bevor schlussendlich die Zahnspange entfernt wird.

Die Vorteile des klassischen Verfahrens sind, dass das Behandlungsergebnis prä-operativ sehr genau geplant werden kann und eine hohe Stabilität zu erwarten ist, da die Zahnbögen in der Regel direkt nach der OP gut aufeinanderpassen.
 

Wie läuft eine Dysgnathie-OP nach dem Surgery-first Ansatz ab?

Beim „Surgery-first“-Verfahren werden die Kiefer direkt zu Beginn der Dysgnathie-Behandlung chirurgisch verlagert. Die feste Zahnspange wird dabei meist unmittelbar vor der Kiefer-OP eingesetzt. Unmittelbar nach der Operation wird mit der Zahnbewegung begonnen.

Diese Reihenfoge hat den Vorteil, dass die gewünschte Profilveränderung direkt zu Beginn der Behandlung eintritt. In Fällen, die für den „Surgery-first“-Ansatz geeignet sind, lässt sich durch dessen Anwendung häufig die benötigte Behandlungszeit reduzieren. Ob ein Patient für die „Surgery-first“-Methode geeignet ist, wird individuell beurteilt und entschieden.
 

Was ist eine Bimax-OP?

Bei der Umstellungsosteotomie, d.h. der chirurgischen Verlagerung der Kiefer, unterscheidet man ein mongnathes von einem bignathen Vorgehen. Mongnath bedeutet, dass nur einer der beiden Kiefer operativ verlagert wird. Im Gegensatz dazu werden bei einer Bimax-OP beide Kiefer verlagert.

Dies kann sinnvoll sein, um bei großen Diskrepanzen die Verlagerungsstrecke des einzelnen Kiefers zu reduzieren. Eine geringere Verlagerungsstrecke wirkt sich beispielsweise positiv auf die Ergebnisstabilität aus. Im Unterkiefer geht eine reduzierte Verlagerungsstrecke auch mit einem reduzierten Risiko für eine Nervschädigung des sensiblen Unterkiefernervs einher.

Ob mono- oder bignath operiert wird, hat außerdem Einfluss auf die Veränderung der Gesichtsproportionen und die Profilveränderung. Ob eine Bimax-OP oder eine monognathes Vorgehen im Einzelfall zu bevorzugen ist, sollte immer individuell beurteilt werden.

Gebiss vor und nach der Dysgnathie-Operation

Oben ist das Gebiss vor und unten nach der Dysgnathie-Operation zu sehen

 

Gibt es Alternativen zur Kiefer-OP bei Dysgnathie?

In manchen Fällen kommt eine sogenannte dentale Kompensation als sinnvolle Alternative zur operativen Kieferverlagerung in Frage. Dabei wird die Kieferfehlstellung belassen und nur durch gezielte Zahnbewegungen kaschiert. Diese Art der Behandlung trägt daher auch dem Namen „Camouflage“-Behandlung.
In welchen Fällen diese Option greift, kann ein erfahrener Kieferorthopäde meist beim ersten Termin abschätzen.

Ein weiterer minimalinvasiver Therapieansatz zur Linderung von Beschwerden in Zusammenhang mit einer Dysgnathie kann eine Schienentherapie sein. Dabei werden sowohl die Kieferfehlstellung als auch der Fehlbiss und die Zahnfehlstellung belassen. Der nicht passende Biss wird durch die herausnehmbare Schiene ausgeglichen bzw. überbrückt. Durch das Tragen der Schiene werden Über- und Fehlbelastungen der Zähne und der Gelenkstrukturen reduziert.
 

Fazit: Verschiedene Dysgnathie-Behandlungsansätze

Je nach Form und Ausmaß einer Dysgnathie bieten sich verschiedene Behandlungsoptionen an. Welche Therapievariante im Einzelfall die beste ist, wird nach detaillierter Diagnostik und Behandlungsplanung und in enger Abstimmung mit Ihnen als Patient entschieden.

Gerne beraten wir Sie individuell in unserer auf Dysgnathie-Behandlungen spezialisierten Praxis in München–Unterföhring.

Kieferorthopäde Dr. Fabian von Rom

Dr. Fabian von Rom
Fachzahnarzt für Kieferorthopädie

Sie haben noch Fragen?

Gerne beraten wir Sie ganz individuell und persönlich in unserer kieferorthopädischen Fachpraxis in München – Unterföhring.

Vereinbaren Sie hier einen Termin. Wir freuen uns auf Sie.

Telefon: +49 (0)89 999 391 40
E-Mail: praxis@kieferorthopaede-vonrom.de